Quelle: gemeinfrei, aus: Ilustração Portuguesa N.º 610, 29. Sept. 1917, Seite 353
Nach dem Sturz der Romanow-Dynastie zeichnete sich zunächst eine demokratische Entwicklung im Russischen Reich ab, ohne dass sich jedoch der Wunsch der Bevölkerung nach einem raschen Ende des Krieges im Frühsommer 1917 erfüllte. Am 16. April 1917 traf nach einwöchiger Zugreise Wladimir Iljitsch Lenin, der emigrierte Führer einer kleinen extremen revolutionären Partei, zusammen mit 30 Begleitern aus dem Exil in der Schweiz in Petrograd ein. Schon am nächsten Tag forderte er in seinen „Aprilthesen“ den Sturz der bürgerlichen Regierung mit dem Ziel, eine sozialistische Gesellschaftsordnung zu errichten; außerdem sollten die Kampfhandlungen gegen das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn sofort eingestellt werden. 1
Nur wenige Zeitgenossen wussten damals, dass die deutsche Regierung die Fahrt Lenins im Eisenbahnwaggon quer durch das Deutsche Reich und über Schweden in die Wege geleitet und das ganze Unternehmen auch finanziell erst möglich gemacht hatte. 2
Das Kalkül der deutschen Regierung, Russland als Kriegsgegner auszuschalten, sollte tatsächlich aufgehen.
Für Deutschland und seine Verbündeten war eine baldige Einstellung der Kampfhandlungen an der Ostfront im Frühsommer 1917 aus militärischen Gründen unabdingbar, denn bereits seit Ende 1916 deutete sich mehr und mehr an, dass die USA ihre bisherige Neutralität aufgeben und aufseiten der alliierten Mächte in den Krieg eintreten würden. Die offizielle Kriegserklärung der USA an das Deutsche Reich erfolgte am 6. April 1917 (an Österreich-Ungarn erst am 7. Dezember 1917). Allerdings wirkte sich der Kriegseintritt der USA erst ab dem Frühjahr 1918 aus, als nach und nach US-amerikanische Truppen nach Europa entsandt wurden. Weitreichende Folgen für Mitteleuropa sollten die am 8. Januar 1918 von Präsident Woodrow Wilson verkündeten „14 Punkte“ haben, zu denen auch die Proklamierung des „Selbstbestimmungsrechts der Völker“ 3 gehörte – letztlich führte dies Ende 1918 zur Auflösung Österreich-Ungarns.
Nur wenigen Zeitgenossen dürfte im Frühjahr 1917 klar gewesen sein, dass sich mit dem Eingreifen der USA in den Weltkrieg und dem Erscheinen Lenins in Russland eine neue geschichtliche Epoche ankündigte: der Niedergang der europäischen Großmächte und zugleich der Aufstieg der Flügelmächte USA (im Westen) und Russland/Sowjetunion (im Osten).
Im Frühjahr 1917 war Portugal Schauplatz eines Ereignisses, das infolge der Kriegsereignisse in der internationalen Öffentlichkeit zunächst nur auf geringes Echo stieß: Bei dem kleinen Ort Fatima erschien drei Kindern beim Viehhüten am 13. Mai 1917 die Gottesmutter Maria. Die Erscheinungen wiederholten sich in den kommenden Monaten und erhielten bleibende Bedeutung durch mehrere Prophezeiungen, in denen ein weiterer Weltkrieg, eine Bekehrung Russlands und – so wird es vielfach gedeutet – das Attentat auf Papst Johannes Paul II. am 13. Mai (!) 1981 vorhergesagt worden sein soll. 4
Fatima hat sich zu einem der wichtigsten Marienwallfahrtsorte der Welt entwickelt. Nach Überzeugung vieler Christen lässt sich von hier, von diesem Wunder des Jahres 1917, eine klare Linie zum Untergang des kommunistischen Systems ziehen.
Dr. Christof Dahm