Katholische Osteuropa-Hilfswerke versuchen, im Orthodoxiestreit in der Ukraine neutral zu bleiben – eine Gratwanderung, weiß der Leiter der Projektabteilung von Renovabis, Martin Lenz. Er nahm am Jahrestreffen von Hilfsorganisationen aus Deutschland, Polen, Italien und den USA teil. Dabei ging es auch um Kindesschutz und Bildungschancen für Menschen in Osteuropa. Das Interview führte Claudia Zeisel vom Internetportal Weltkirche
- Herr Lenz, die Osteuropa-Hilfswerke haben im vergangenen Jahr 1.500 Projekte im osteuropäischen Raum gefördert. Welche Schwerpunkte waren dabei?
Wir haben alle unseren Fokus auf die Ukraine. Darüber hinaus war Südosteuropa bei allen Werken stark in der Förderung, in Ländern, wo es noch immer starke Verwerfungen gibt oder wo sich die katholische Kirche in einer Diasporasituation befindet wie in Bosnien und Herzegowina oder dem Kosovo. Thematisch gab es den Konsens, dass man mit den Partnern gemeinsam stark in Aus- und Weiterbildung investieren will.
- In osteuropäischen Ländern gibt es aber viele ausgebildete Menschen, die keinen Job finden oder von ihrer Arbeit nicht leben können. Was können die Hilfswerke da tun?
Die Hilfswerke können natürlich nicht selbst den Arbeitsmarkt umkrempeln, aber sie können indirekt helfen. Wir können unseren Partnern eine Stimme im gesellschaftlichen Diskurs geben und ihnen helfen, sich kompetent zu arbeits- und sozialpolitischen Fragen zu äußern. Wir helfen mittels Studienstipendien, fördern den Aufbau von sozialwissenschaftlichen Akademien und helfen Bischofskonferenzen beim Ausbau von Fachkompetenzen, damit sie mit den jeweiligen Regierungen auf Augenhöhe reden können.
- Wie wichtig ist hier auch die Korruptionsbekämpfung?
Wir hören von vielen Partnern, dass Korruption ein Haupt-Entwicklungshemmnis ist. Selbst, wenn die Menschen gut ausgebildet und leistungsfähig sind, kommen sie nicht an die Jobs, weil es etwa Vetternwirtschaft gibt. Bestimmte Systeme wie das Gesundheitswesen sind so aufgebaut, dass sie gar nicht ohne Korruption auskommen. Ein Arzt in der Ukraine kann von seinem Gehalt nicht leben, deshalb nimmt er bei jeder Behandlung Schmiergeld an. Wir versuchen, mit unseren Partnern Gegenmodelle zu schaffen. Etwa eine medizinische Ambulanz, die dafür bekannt ist, dass das Ärztepersonal besser bezahlt wird und dann aber auch kein Geld über den Tisch geschoben wird.
- Welche neuen Herausforderungen sind bei der Tagung aufgekommen?
Interessant war, dass wir alle Schwierigkeiten damit haben, dass unsere Kooperationen immer wieder durch eine starke Fluktuation bei den Mitarbeitern in den Projekten vor Ort erschwert werden. Es kommt häufig vor, dass unsere Partner und wir junge Menschen qualifizieren und eine gute, professionelle Zusammenarbeit mit ihnen schaffen – doch dann beenden sie das Arbeitsverhältnis, da unsere kirchlichen Partner auch nach mehr als 25 Jahren des Wiederaufbaus häufig noch nicht die marktüblichen Löhne und Gehälter zahlen können. Dann fangen wir wieder bei Null an. Auch unsere Partner sind da immer wieder eine Durchgangsstation für junge Menschen, die sich dann woanders ihre Zukunft aufbauen.
- Liegt das auch an einer zunehmenden Säkularisierung in osteuropäischen Ländern?
Es gibt sicher Säkularisierungstendenzen, aber ich glaube nicht, dass sie in erster Linie Mitarbeiter in den Projekten unserer Partner betreffen. Unsere Partner berichten uns aber schon, dass sie Strömungen beobachten, die vor zehn, fünfzehn Jahren noch nicht absehbar waren. Das wird bedauert, aber wir versuchen dann gemeinsam Projekte zu definieren, die die Position der Kirche in der Gesellschaft unterstreichen oder gar neu definieren sollen.
- Ein Thema, das die Kirchen in Osteuropa auch bewegt, ist die Missbrauchsprävention und der Kindesschutz. Wie bringen sich da die Osteuropa-Hilfswerke ein?
Dies ist ein großes Thema für alle von uns, das sich auf die Arbeit mit den Partnern überträgt. Spezifisch war, dass wir bei der Jahrestagung mit einer Abteilung der polnischen Bischofskonferenz zusammengesessen haben, die ihrerseits Projekte in Mittel- und Osteuropa fördert. Die katholische Kirche in Polen selbst ist sehr darum bemüht, die ganze Thematik systematisch zu beleuchten. Die Systematik, dass man Mitarbeiter schult, Präventionskonzepte und Guidelines für kirchliche Einrichtungen erarbeitet, ist in den letzten Jahren stark in Angriff genommen worden. So bringen auch unsere Kollegen von der Polnischen Bischofskonferenz, die wiederum ihre Partner in anderen Ländern unterstützen, hier auch die Erfahrungen aus Polen mit ein.
- Die USA erleben unter Trump allein in Bezug auf das Verhältnis mit Russland einen starken politischen Wandel. Wie bekommen das die Osteuropa-Hilfswerke in den USA zu spüren und wirkt sich das auf die Zusammenarbeit mit ihnen aus?
Bei der Jahrestagung war die Fachabteilung der amerikanischen Bischofskonferenz dabei, die Projekte in Mittel- und Osteuropa fördert. Ihre Arbeit finanziert sie aus kirchlichen Geldern und ist somit unabhängig vom Staat. Ihr Rückgrat in der amerikanischen Katholischen Kirche waren immer Migranten aus Mittel- und Osteuropa. Die stärkste Gruppe der Katholischen Kirche in den USA stellen nun aber Migranten aus Lateinamerika. Insofern verändert sich da auch die Gesamtsituation der Katholiken in den USA und das Verständnis, wie und wem man helfen will. Ein Katholik, der in zweiter Generation aus Kroatien oder Belarus stammt, hat möglicherweise andere Prioritäten als ein Katholik aus El Salvador.
- Innerhalb Osteuropas gibt es eine starke politische Polarisierung zwischen Russland und Europa. Wie gehen die Osteuropa-Hilfswerke damit um?
Von den Partnern wird uns widergespiegelt, dass sich Russland in der jetzigen Situation zu einer Sicherheitsbedrohung entwickelt hat. Das hört man aus den baltischen Staaten, aus Belarus oder auch aus Polen. Unsere Partner haben aber insgesamt eine wesentlich höhere Affinität zum Westen bzw. zu Europa als zu Russland.
- Wenn wir auf die Ukraine blicken, wie können die Osteuropa-Hilfswerke dort eine gemeinsame Strategie finden?
Es gibt zahlreiche Projektvorhaben, die von der amerikanischen Bischofskonferenz, Kirche in Not und Renovabis kofinanziert werden. Etwa die Hilfestellung für traumatisierte Kriegsopfer und Binnenflüchtlinge in der Ukraine. Darunter sind Kinder mit Traumasymptomen, Ex-Soldaten oder Militärseelsorger, die sich plötzlich in Kampfsituationen wiedergefunden haben. Wir als Kirche müssen da reagieren und uns fragen, wie wir traumatisierten Menschen das Leben ein Stück leichter machen können.
- Welche Rolle spielt der Kirchenkonflikt zwischen Russland und der Ukraine für Ihre Arbeit?
Der Kirchenkonflikt wirbelt die Ökumene in der Ukraine und darüber hinaus durcheinander. Gesprächsforen wie der Allukrainische Rat der Kirchen und Religionsgemeinschaften haben es erst mal schwerer, weiterzumachen. Wir Hilfswerke haben uns darauf geeinigt, nicht Position zu beziehen, aber darauf zu achten, dass unsere Projekte zu Dialog und Verständigung beitragen. Das bedeutet, bei der Förderung von Projektanträgen der orthodoxen Kirchen sowohl die neugegründete autokephale Orthodoxe Kirche der Ukraine als auch die Ukrainische Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats mit zu berücksichtigen und nach Möglichkeit Projektanträge zu fördern, die die Mitglieder beider Kirchen unterstützen.
- Können die Hilfswerke da auch eine Brückenfunktion übernehmen?
Wir können da sicher keine substanzielle Mittlerrolle übernehmen, da es sich um eine innerorthodoxe Angelegenheit handelt. Viele unserer Partner sehen durchaus das Recht auf eine eigene Kirchenstruktur der ukrainischen Orthodoxie. Aber ich denke, wir können Schaden begrenzen, indem wir durch unsere Förderung nicht noch tiefere Gräben und Verwerfungen erzeugen, sondern den Dialog zwischen den Kirchen fördern und dabei das gemeinsam Verbindende und nicht das Trennende in den Vordergrund stellen. Ich würde also davon abraten, die Förderung in der Ukraine auf eine der beiden Kirchen zu beschränken oder Projekte zu unterstützen, die gegen die jeweils andere Kirche gerichtet sind. Die Katholischen Kirchen in der Ukraine, die Römisch-Katholische und die mit Rom unierte Griechisch-Katholische, haben klar Stellung bezogen: Sie sind für eine Selbstbestimmung der orthodoxen Kirche in der Ukraine.
- Betrübt es Sie, dass die orthodoxen Kirchen in der Ukraine nun von dem politischen Konflikt erfasst wurden?
In der Orthodoxie – sei sie nun ukrainisch oder russisch – gibt es von Grund auf ein anderes Verhältnis zur Politik. Das Zusammendenken von geistlicher und weltlicher Macht ist dort deutlich stärker verbreitet als etwa in der Römisch-Katholischen Kirche. Insofern wundert es mich persönlich nicht, dass der politische Konflikt dort angekommen ist. Auf der anderen Seite ist es natürlich unheimlich schmerzhaft mit anzusehen. Was mag es bedeuten für einen orthodoxen Gläubigen in der Ostukraine, wenn er seinen Patriarchen auf einem Foto mit Putin sieht, der diesen Krieg unterstützt? Das sind persönliche Zerreißproben, die eine unglaublich traumatische Wirkung haben können. Es hat Friedensaufrufe der Kirchen gegeben in dem Konflikt, aber es war wohl nicht ausreichend. Darin liegt eine große Tragik und man kann nur hoffen, dass es da wieder einen Weg heraus gibt.
Das Interview führte Claudia Zeisel.