Am 9. August 1942 wird in Auschwitz die gerade einmal 50 Jahre alte Karmelitin Sr. Teresia Benedicta a Cruce (so der Ordensname von Edith Stein) samt ihrer Schwester Rosa im KZ Auschwitz-Birkenau vergast. Viele Stichworte gibt es, unter denen ihr Name nachzuschlagen ist: Deutsche Jüdin, Christliche Philosophin, Frauenrechtlerin, Glaubenszeugin, Märtyrerin.
Anlässlich des heutigen 80. Todestages der hl. Edith Stein hat der Vorsitzende der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Bertram Meier (Augsburg), die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz besucht. Er würdigte Edith Stein als Persönlichkeit, die ihrer Zeit, auch der katholischen Kirche, weit voraus war:
Sie hat uns mit ihrer Solidarität für ihre jüdischen Schwestern und Brüder und für alle Gedemütigten und Entrechteten einen Weg gewiesen. Einen Weg, der viele schmerzhafte Einsichten für uns bereithielt, da er uns als Kirche auf unser Versagen hinwies.
Zum Abschluss unterstrich Bischof Meier:
In uns muss das Licht brennen, das sich gegen die Dunkelheit der Unwissenheit, der Ablehnung und des Hasses stellt. Den jungen Menschen rufe ich daher zu: baut aktiv am Frieden mit, lasst Euch nicht instrumentalisieren für die Machthaber dieser Welt, übernehmt die Verantwortung für Euer eigenes Leben und sucht Euch Verbündete unter den Heiligen – den lebenden und den verstorbenen.
Nicht erst seit sie am 1. Oktober 1999 von Johannes Paul II. zur Mitpatronin Europas erklärt wurde, sondern von Anfang an inspiriert sie die Arbeit von Renovabis, der Osteuropa-Solidaritätsaktion. Die Tatsache, dass Edith Stein, die 1891 in Breslau geboren und jüdisch erzogen wurde, stets zu ihrer jüdischen Identität gestanden hat, konfrontiert uns mit der grausamen Geschichte des Antisemitismus in Europa. Wir haben hier ein schweres Erbe zu tragen, und haben die Verantwortung, einem Wiedererstarken dieser Strömungen entschieden entgegenzutreten. Als Philosophin hat Edith Stein gegen den Totalitarismus gekämpft und sich für die Würde des Einzelnen eingesetzt. Auch hier bietet sie Orientierung für unser gesellschaftliches und kirchliches Engagement. 27 Jahre nach dem Fall des Kommunismus sind ja totalitäre Tendenzen in manchen Ländern Europas nicht zu übersehen. Würde und Freiheit des Menschen, nicht zuletzt die Religionsfreiheit, sind noch immer nicht überall eine Selbstverständlichkeit.
Noch wenig in den Blickpunkt geraten ist das starke Engagement Edith Steins für die Emanzipation der Frauen in Gesellschaft und Kirche. Sie, der man Habilitation und Professur verweigert, weil sie eine Frau ist, setzt sich schon früh für das Frauenstimmrecht ein und beschäftigt sich intensiv mit der Frage der Integration von Frauen in das moderne außerhäusliche Berufsleben. Was die karitative und apostolische Wirksamkeit der Frau in der Kirche angeht, zeigt sie sich offen für den Gedanken an ein Diakonat der Frau. „Ob das dann der erste Schritt auf einem Weg wäre, der schließlich zum Priestertum der Frau führt, ist die Frage. Dogmatisch scheint mir nichts im Wege zu stehen, was es der Kirche verbieten könnte, eine solche bislang unerhörte Neuerung durchzuführen.“ Für Renovabis gehört heute besonders die moderne Versklavung von Frauen in Europa — Frauenhandel und Prostitution — zu den Feldern auf denen wir uns im Geiste Edith Steins und im Verbund mit unseren Partnern engagieren.
Auch für das von Renovabis geförderte Thema der Neuen Evangelisierung ist Edith Stein eine gute Patin: Sie hat ihren Glauben verloren, bezeichnet sich als Atheistin, die sich „das Beten ganz bewusst und aus freiem Entschluss abgewöhnt“ hat, bevor sie über die Bekanntschaft mit den Schriften der heiligen Theresia von Avila schließlich ihren Weg zu „Anbetung in Geist und Wahrheit“ (Joh. 4,23) findet und sich taufen lässt. Die Kraft zu ihrem engagierten Leben als Christin und vor allem im Zugehen auf den sicheren Tod als Jüdin im KZ schöpft sie seit der Taufe aus der Eucharistie: „Eucharistisch leben heißt, ganz von selbst aus der Enge des eigenen Lebens hinausgehen und in die Weite des Christuslebens hineinwachsen.“
von P. Stefan Dartmann SJ